Umsiedlung – Flucht – Neuanfang: Bessarabiendeutsche in Hohenlohe (Teil 1)
An verschiedenen Stellen berichteten wir bereits davon, dass das Hohenloher Freilandmuseum die Umsetzung einer Wohnbaracke plant, die 1951 von der bessarabiendeutschen Flüchtlingsfamilie Flaig in Gschlachtenbretzingen errichtet wurde.
Ab sofort werden wir hier einmal monatlich über das Projekt berichten und einige Themen genauer beleuchten. Im ersten Teil soll es darum gehen, warum sich vor etwa 200 Jahren Deutsche 2.000 Kilometer von ihrer Heimat entfernt in der öden Steppenlandschaft Bessarabiens ansiedelten.
Wie die Deutschen nach Bessarabien kamen
Bei Bessarabien handelt es sich um eine historische Landschaft in Südosteuropa, deren Name auf Basarab I. zurückgeht, der um 1330 auch das Fürstentum Walachei gründete. Nach dem Ende des sechsten Russisch-Türkischen-Krieges, der von 1806 bis 1812 andauerte, fiel das Gebiet – das bis dahin vom Osmanischen Reich beherrscht worden war – an das Russische Kaiserreich.
Als Folge des Krieges lebten in der Region nur noch wenige Menschen. Der fruchtbare Boden sollte jedoch nicht ungenutzt bleiben, weshalb die russische Kolonialverwaltung gezielt Siedler anwarb. Im November 1813 wandte sich Zar Alexander I. mit einem Ukas (Erlass) an Deutsche und Polen und forderte sie auf, nach Bessarabien zu ziehen. Sie wurden dabei mit einer Vielzahl von Versprechungen angelockt, zum Beispiel Religionsfreiheit und der lebenslänglichen Befreiung vom Militärdienst.
Hoffnung auf ein besseres Leben
Als Erste folgten die sogenannten „Warschauer Kolonisten“ dem Aufruf des Zaren. Das waren Deutsche, die Ende der 1790er-Jahre vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. in der Provinz Südpreußen, zu der auch die Stadt Warschau gehörte, angesiedelt worden waren. Die durch die Napoleonischen Kriege unbeständigen politischen Gegebenheiten sowie die Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation veranlassten viele dazu, dem Aufruf des russischen Zaren zu folgen. Ab 1814 machten sich mindestens 1.500 bis 1.750 Familien auf den Weg nach Bessarabien. Auch die Vorfahren der Familie Flaig kamen als „Warschauer Kolonisten“ nach Bessarabien.
Im Königreich Württemberg bestand währenddessen zwischen 1807 und 1815 ein Auswanderungsverbot. Nach dessen Aufhebung begaben sich zwischen 1816 und 1817 circa 9.000 Menschen aus Südwestdeutschland auf die Reise nach Bessarabien – mit der Hoffnung, sich dort ein besseres Leben aufbauen zu können. Die Auswirkungen der Napoleonischen Kriege hatten auch die württembergische Bevölkerung stark getroffen. Noch dazu hatten die Menschen mit den Folgen des „Jahres ohne Sommer“ zu kämpfen. Der Ausbruch eines Vulkans in Indonesien verursachte 1816 außergewöhnlich kaltes Wetter, das zu Missernten und daraus resultierenden Hungerkatastrophen führte. Darüber hinaus wanderten viele Menschen aus politischen Gründen aus, denn König Friedrich I. von Württemberg griff stark in das religiöse Leben ein.
Eine lange und beschwerliche Reise
Die Auswanderer aus Südwestdeutschland reisten häufig von Ulm aus in sogenannten „Ulmer Schachteln“ über die Donau bis nach Wien und von dort aus weiter in „Zillen“ genannten Kähnen bis in das Mündungsgebiet der Donau. Der restliche Weg musste mit Ochsenkarren zurückgelegt werden. Die kräftezehrende Reise forderte zahlreiche Menschenleben. Unter den Umsiedlern brachen immer wieder tödliche Krankheiten aus. Insgesamt gelang zu Beginn des 19. Jahrhunderts dennoch etwa 9.000 bis 10.000 Deutschen die Umsiedlung.
Quellen:
Isert, Ingo Rüdiger: Württembergische Auswanderung nach Bessarabien unter dem Zaren Alexander I. In: Haus der Heimat (Hg.): Zar Alexander I. von Russland und das Königreich Württemberg. Familienbande, Staatspolitik und Auswanderung vor 200 Jahren. Stuttgart 2006, S. 75–93.
Krieger, Viktor: Von der Anwerbung Katharina II. bis 1917. Online verfügbar unter: https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/russlanddeutsche/252006/von-der-anwerbung-unter-katharina-ii-bis-1917 (Stand: 21.10.2021).
Schmidt, Ute: Bessarabien. Deutsche Kolonisten am Schwarzen Meer. 2. aktualisierte, erweiterte und korrigierte Auflage, Berlin 2008.
Ein Beitrag von Andrea Breul